Meiner ersten großen Liebe bin ich begegnet, da war ich ein Teenager von gerade mal 18 Jahren. Gut, so früh ist das nun auch wieder nicht – viele Teenager verlieben sich ja schon vorher. Andererseits darf man sich verlieben oder gar Sex mit jemandem haben und die erste große Liebe nun auch nicht miteinander verwechseln. Natürlich war ich in James auch verliebt; aber daraus wurde dann viel mehr, nämlich wie gesagt meine erste große Liebe. Ich hatte damals die Schule bereits abgeschlossen und wollte, bevor ich mit dem Studium begann, noch ein bisschen allgemeine Lebenserfahrung machen. Und zwar wenn möglich nicht in Deutschland, sondern im Ausland. Das macht sich ja später auch immer richtig gut im Lebenslauf, so ein Auslandsaufenthalt. Die Gelegenheit dazu ergab sich, als ein alter Freund meines Vaters mit diesem nach vielen Jahren wieder Kontakt aufnahm. Es war ein Engländer, der in Deutschland studiert hatte. Während des Studiums hatten die beiden sich kennengelernt, sich jedoch irgendwann später wieder aus den Augen verloren, kurz nachdem mein Vater meine Mutter geheiratet hatte. Doch jetzt hatte sich sein englischer Freund wieder an ihn erinnert. Als ich von diesem Kontakt erfuhr, drängte ich meinen Vater gleich, er solle sich bei seinem Freund doch mal danach erkundigen, ob der mir nicht dabei behilflich sein könne, eine Stelle in England zu finden. Ich hätte mich natürlich auch als Aupair Mädchen irgendwo in Großbritannien bewerben können, aber die Arbeit als Aupair Girl war mir dann doch zu langweilig und eintönig. Heutzutage wollen anscheinend kaum noch Teenager Aupair werden; kein Wunder. Natürlich kann man als Aupair Mädchen eine fremde Sprache lernen, aber die Arbeit, die man machen muss, ist dann doch eher nervtötend – auf kleine Kinder aufpassen und im Haushalt helfen. Welcher Teenager hat dazu schon Lust? Nein, ich wollte etwas „Richtiges“ arbeiten, wenn ich auch keinerlei Vorstellung hatte, welcher Job da für mich in Frage käme. Das Problem löste sich dann aber wie von selbst, denn als mein Vater sich widerstrebend von mir hatte dazu überreden lassen, seinen Freund zu fragen, stellte es sich heraus, dass der sogar eine eigene kleine Firma besaß und meine Hilfe als Übersetzerin für Deutsch gut gebrauchen konnte. Sein Deutsch sei etwas eingerostet, meinte er. Es dauerte nicht lange, dann war es abgemacht – ich würde für ein Jahr nach England gehen. Und ebenso wie als Au Pair Mädchen würde ich sogar bei einer Familie wohnen und nicht in einem trübsinnigen Bedsitter, und zwar in der Familie des Freundes meines Vaters.
Ich war ziemlich aufgeregt, als ich mich auf den Weg machte und mein Vater mich zum Flughafen brachte. In Heathrow würde mich dann sein Freund abholen und mich bei seiner Frau abliefern, denn ich sollte erst am nächsten Tag mit meinem Job anfangen. Die Familie wohnte in einem kleinen Städtchen in der Nähe von Oxford. Ich hatte sogar ein Foto seines Freundes dabei, ein ganz aktuelles, per Mail geschickt, ebenso wie er eines von mir bekommen hatte, damit wir uns am Flughafen erkennen konnten. Doch so angestrengt ich mich auch umsah – ich konnte niemanden entdecken, der diesem Foto auch nur ansatzweise ähnlich gesehen hatte. Was ich allerdings sah, das war ein junger Mann, mit blonden kurzen Haaren, die oben ein wenig wild und wirbelig in die Höhe standen, wie bei einem Mini-Irokesenschnitt. Der blickte sich ebenso suchend um wie ich. Als ich ihn sah, erlebte ich etwas, was man wirklich nur Liebe auf den ersten Blick nennen kann. Sofort brach mir der Schweiß aus, meine Hände zitterten, meine Knie wurden weich. Ich musste mich erst mühsam wieder beruhigen, bevor ich mich weiter nach dem Mann umsehen konnte, der mich in Empfang nehmen sollte. Zu dem großen Blonden wagte ich gar nicht mehr hinzusehen. Schließlich wollte ich ja nicht als Teenager schon einen Herzinfarkt erleiden, und der hätte mir bestimmt gedroht, wenn ich mir diesen „Hunk“ noch länger betrachtet hätte. Ich drehte mich einmal um meine eigene Achse, um sicherzugehen, dass ich auch wirklich nichts übersehen hatte, da kam auf einmal von hinten eine Stimme, die mit einem sehr starken englischen Akzent meinen Namen sagte. Es war eine so dunkle Stimme, dass sie in meinem Bauch richtig ein Brummen auslöste. Sie klang zwar etwas zu jung für einen Mann Anfang 50, aber ich drehte mich trotzdem um – und blickte genau in die knallblauen Augen des großen Blonden. Ich konnte es natürlich nicht sehen, aber ich war mir sicher, dass ich dunkelrot anlief. Sagen konnte ich nichts, ich konnte nur nicken. Dann stellte der blonde „Hunk“ sich – auf Englisch, was seine dunkle Stimme noch dunkler erscheinen ließ – als James vor, der Sohn des Freundes meines Vaters. Sein Vater selbst sei leider verhindert. Nun drohte mir doch der Herzinfarkt im Teenageralter, den ich erfolgreich verhindern zu können geglaubt hatte. Dieser umwerfende Typ war also derjenige, der mich nach Oxfordshire bringen sollte. Ich würde eine ganze Weile mit ihm im Auto verbringen, auf engstem Raum zusammengepresst; sicherlich eine Stunde, wenn nicht länger.